Kernpositionen der ABDA zur Bundestagswahl 2025
Berlin, Dezember 2024
Unser Gesundheitssystem steht vor immensen Herausforderungen: Eine alternde Gesellschaft trifft auf Fachkräftemangel, andauernde Lieferengpässe erschweren die medizinische Versorgung und der medizinisch-technische Fortschritt wirft Fragen der langfristigen Finanzierbarkeit des Versorgungssystems auf. In Krisenzeiten haben die Apotheken vor Ort ihre Verlässlichkeit als niedrigschwellige Anlaufstelle für die Gesundheitsversorgung unter Beweis gestellt. Sie sichern durch ihren Einsatz trotz anhaltender Lieferengpässe die wohnortnahe, flächendeckende und sichere Versorgung der Bevölkerung mit Arzneimitteln. Apotheken leisten somit einen unverzichtbaren Beitrag zur Gesundheitsversorgung in Deutschland und genießen ein hohes Vertrauen in der Gesellschaft.
Aber: Viele Apotheken sind in ihrer wirtschaftlichen Existenz bedroht. Um die heilberufliche Kompetenz der Apotheken auch künftig umfassend nutzen zu können und die flächendeckende Arzneimittelversorgung vor Ort zu sichern, gilt es heute zwei zentrale Punkte umzusetzen:
1. Verbesserung der wirtschaftlichen Rahmenbedingungen des inhabergeführten Apothekenbetriebs:
Für die Erhaltung einer hochwertigen persönlichen Versorgung mit Arzneimitteln – flächendeckend und wohnortnah – in Apotheken vor Ort, braucht es eine Verbesserung der wirtschaftlichen Situation der Apotheken. Nur so werden junge Pharmazeutinnen und Pharmazeuten weiterhin bereit sein, sich der Herausforderung der Selbstständigkeit zu stellen. Dies beinhaltet insbesondere eine angemessene Anhebung und regelhafte Dynamisierung des Honorars, die Planungssicherheit gibt.
2. Stärkere Nutzung der Kompetenzen der Apothekerinnen und Apotheker, um das Gesundheitssystem für die Zukunft resilient aufzustellen:
Apotheken vor Ort stehen bereit, sich dem stetig zunehmenden Bedarf an heilberuflicher Beratung und Dienstleistungen anzunehmen. Gleichzeitig können sie in Zeiten überlasteter Versorgungsstrukturen als niedrigschwellige Anlaufstelle durch Erbringung von zusätzlichen Leistungen in der Begleitung der Arzneimitteltherapie, der Prävention und der Diagnostik einen erheblichen Beitrag zur Stabilisierung und Verbesserung des Gesundheitssystems leisten.
Keine Zeit verlieren!
In den vergangenen Jahren haben wir einen beispiellosen Rückgang an Apotheken in Deutschland verzeichnet, allein seit 2021 haben 7 Prozent aller Apotheken in Deutschland geschlossen. Effektive und niedrigschwellige Maßnahmenvorschläge werden seit Langem vorgebracht. Immer wieder wurde die Apothekerschaft mit Verweis auf gesellschaftliche Zwänge oder Krisensituationen vertröstet. Wir erwarten, dass die neue Bundesregierung das beendet und dem Apothekensterben unmittelbar Einhalt gebietet. Andernfalls droht eine rapide Verschlechterung in der Versorgung der Patientinnen und Patienten. Vor dem Hintergrund der vielfältigen Herausforderungen im Gesundheitswesen muss die Stabilisierung der Apotheken vor Ort eine gesundheitspolitische Priorität der neuen Bundesregierung sein, um die Gesundheitsversorgung in Deutschland zu sichern.
Unsere Positionen im Detail
Verbesserung der wirtschaftlichen Rahmenbedingungen des inhabergeführten Apothekenbetriebs
Um eine weitere Ausdünnung der Versorgung von Millionen Patientinnen und Patienten zu verhindern, müssen die inhabergeführten Apotheken sofort wirtschaftlich stabilisiert werden. 10 Prozent der noch bestehenden Apotheken haben negative Betriebsergebnisse. Eine Schließung dieser Betriebe kann nur durch ein schnell wirksames Rettungspaket verhindert werden. Darin müssen deutlich verbesserte wirtschaftliche Rahmenbedingungen enthalten sein. Es bedarf eines Sofortprogramms zur Stärkung der Arzneimittelversorgung über die Apotheken vor Ort.
Apothekenhonorierung: Dazu gehört eine deutliche Anhebung des seit nunmehr über 11 Jahren unveränderten Apothekenhonorars. Dies kann sehr schnell und unkompliziert über die Arzneimittelpreisverordnung erfolgen. Dabei ist in erster Linie das Apothekenfixum von 8,35 Euro deutlich anzuheben. Zudem sind auch die Sonderentgelte, wie zum Beispiel für den Botendienst, die Rezepturherstellung und die Dokumentationsgebühren wieder leistungsgerecht auszugestalten.
Skonto-Urteil: Dazu gehört auch eine rasche Reaktion auf das sogenannte Skonti-Urteil des Bundesgerichtshofes1: In der Arzneimittelpreisverordnung muss festgelegt werden, dass handelsübliche Skonti des pharmazeutischen Großhandels vollumfänglich erlaubt sind.
Anpassungssystematik: Die regelmäßige Anpassung des Apothekenhonorars an die gesamtwirtschaftlichen Entwicklungen ist für die nachhaltige Stabilisierung der Versorgung durch Apotheken vor Ort eine unbedingte Notwendigkeit.
Während die Inflation seit 2013 kumuliert rund 30 Prozent betrug und die Tariflöhne der Apotheken um 40 Prozent angestiegen sind, hat es beim Apothekenhonorar im selben Zeitraum keine Anpassung gegeben. Aus Spargründen hat die Ampel-Koalition das Honorar zuletzt sogar abgesenkt. In den meisten Vergütungssystematiken des Gesundheitswesens gibt es Mechanismen, mit denen die Honorierung der Leistungserbringer an die gesamtwirtschaftliche Entwicklung automatisch angepasst wird. Beim Apothekenhonorar gibt es einen solchen Anpassungsmechanismus bislang nicht.
Damit es für den Betrieb einer Apotheke wieder eine wirtschaftliche Perspektive gibt, muss daher eine Systematik etabliert werden, bei der sich das Apothekenhonorar zukünftig regelhaft und regelmäßig an die Kostenentwicklungen der Apotheken anpasst.
Grundsicherung: Die Apotheke vor Ort bildet auf lokaler Ebene das Drehkreuz für Gesundheitsfragen aller Art und trägt durch persönliche Beratung zu Arzneimitteln, Aufklärung, Begleitung der Therapien und zusätzliche Angebote maßgeblich zu einer qualitativ hochwertigen Gesundheitsversorgung bei. Die wohnortnahe Verfügbarkeit heilberuflicher Kompetenz bildet ein niedrigschwelliges Angebot für Patientinnen und Patienten. In Anbetracht des sich immer weiter ausdünnenden Apothekennetzes [insbesondere in ländlichen Regionen] sind die Möglichkeiten zusätzlicher Pauschalen zur Grundsicherung der Flächendeckung, beispielsweise durch eine Erhöhung der Notdienstpauschale, zu nutzen.
Die Kompetenzen der Apothekerinnen und Apotheker stärker nutzen, um das Gesundheitssystem für die Zukunft aufzustellen
Apothekerinnen und Apotheker verfügen über heilberufliche Kompetenzen und sind als lokale Anlaufstelle für die Bevölkerung neben Arztpraxen, Krankenhäusern und Pflegeeinrichtungen ein zentrales Element der Gesundheitsversorgung vor Ort.
Weiterentwicklung des Leistungskataloges: Fachkräftemangel, alternde Bevölkerung und medizinischer Fortschritt stellen das Gesundheitswesen vor große Herausforderungen. In den kommenden Jahrzehnten werden immer mehr Menschen therapiebedürftig. Hinzu kommt, dass neue, innovative Versorgungskonzepte – insbesondere im Arzneimittelbereich – sehr ausgabenintensiv sind. Die nächste Bundesregierung sollte den Herausforderungen begegnen, indem sie die Kompetenzen der Apothekerinnen und Apotheker umfassender nutzt. Durch die Weiterentwicklung des apothekerlichen Leistungskataloges, beispielsweise in Primärversorgung und Prävention, durch Therapiemonitoring oder auch bei neuen digitalen Versorgungslösungen können die Apothekenteams vor Ort eine wichtige stabilisierende Funktion übernehmen. Apotheken vor Ort können so entscheidend zur Prävention, zur Verbesserung der Gesundheit der Bevölkerung und letztendlich zur Entlastung der Solidargemeinschaft beitragen.
Interprofessionelles Medikationsmanagement: Wir setzen uns für die Schaffung einer Rechtsgrundlage für das interprofessionelle Medikationsmanagement ein, so dass Apothekerinnen und Apotheker zusammen mit Vertragsärztinnen und -ärzten in der Regelversorgung ein gemeinsam abgestimmtes, interprofessionelles Medikationsmanagement anbieten können, das evident und effizient zur Krankheitsvorbeugung beiträgt.
Entscheidungsspielräume bei der Arzneimittelabgabe: Patientinnen und Patienten dürfen nicht in eine Versorgungslücke geraten, wenn ein bestimmtes, verordnetes Arzneimittel nicht lieferbar ist, zeitgleich aber ein anderes adäquates Arzneimittel in der Apotheke zur Verfügung steht. Hierfür sollen Apothekerinnen und Apotheker mehr Handlungsspielraum beim Austausch von verordneten Arzneimitteln bekommen. Die Austauschregeln aus der Pandemiezeit bilden dazu eine Blaupause und sollten erweitert werden. Dokumentationen gegenüber den gesetzlichen Krankenkassen sind zu minimalisieren, so dass Taxbeanstandungen weitgehend ausgeschlossen sind. Für den zusätzlichen Aufwand bei der Bewältigung von Lieferengpässen muss ein angemessener finanzieller Ausgleich geschaffen werden. Die Engpasspauschale ist entsprechend anzuheben.
Digitalisierung: Apotheken arbeiten bereits hochdigitalisiert, sowohl in ihren Betriebsabläufen als auch im Verhältnis zu ihren Patientinnen und Patienten. Zudem ermöglicht die Digitalisierung eine bessere Vernetzung der Heilberuflerinnen und Heilberufler, was zu einer rundum abgestimmten und sichereren Versorgung der Patientinnen und Patienten führt. Digitalisierung kann Routineprozesse zeitlich entlasten und die individuelle pharmazeutische Beratung stützen, eine direkte persönliche Beratung allerdings nicht ersetzen.
Die Apotheken vor Ort haben in den vergangenen Jahren immer wieder bewiesen, wie schnell sie digitale Versorgungskomponenten anwenden und der Bevölkerung erklären können. Ohne den Einsatz der Apothekenteams wäre das neue E-Rezept beispielsweise gescheitert. Die nächste Bundesregierung sollte daher die Innovationskraft der Apotheken stärker nutzen, um sinnvolle Transformationsprozesse im Gesundheitswesen voranzubringen.
Die Zeit drängt: Stabilisierung der Apotheken muss eine Priorität der neuen Bundesregierung sein!
Seit 2021 hat die Apothekenzahl nochmals stark abgenommen und ist auf ein Rekordtief von 17.187 (Q3/2024) gesunken. Viele Apotheken sind konkret bedroht: 10 Prozent der Apotheken sind defizitär, weitere 24 Prozent erwirtschaften kaum dauerhaft tragfähige Betriebsergebnisse. Mit nur noch knapp 21 Apotheken pro 100.000 Einwohnern liegt Deutschland schon heute deutlich unter dem europäischen Durchschnitt von 32. Diese Entwicklungen darf die neue Bundesregierung nicht länger geschehen lassen.
Im Werkzeugkasten der Bundesregierung liegen wie beschrieben diverse Möglichkeiten bereit, um die Apotheken vor Ort per Sofortprogramm schnell und effektiv zu stärken, die finanzielle Schieflage im System langfristig zu adressieren und Apotheken für die Zukunft aufzustellen.
Nur so kann das Potenzial der heilberuflich und inhabergeführten Apotheke vor Ort für die Gesundheitsversorgung vollständig entfaltet werden. Nur wenn wir heute unser Netz an Apotheken erhalten, bleibt die Apotheke vor Ort ein attraktiver Arbeitsplatz für gut ausgebildete Fachkräfte von morgen. Eine nachhaltig aufgestellte Apothekerschaft kann sich den Herausforderungen der kommenden Jahre stellen und ihren Beitrag zu einer qualitativ hochwertigen und zukunftsfähigen Gesundheitsversorgung leisten.
Die ABDA steht der neuen Bundesregierung stets für einen konstruktiven Austausch zur Weiterentwicklung und Stärkung unseres Gesundheitssystems zur Verfügung.
ABDA – Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände e. V.
Berlin, Dezember 2024
1 Der BGH hatte am 8. Februar 2024 entschieden, dass die Gewährung von Skonti von Großhändlern gegenüber Apotheken nach der Arzneimittelpreisverordnung unzulässig ist, wenn der Mindestpreis (zusammengesetzt aus Abgabepreis des pharmazeutischen Unternehmers, dem Großhandelsfestzuschlag und der Umsatzsteuer) unterschritten wird.